Für Euch, Iris Sayram, Claasen-Verlag, 357
Die Nachbarin auf dem Campingplatz am Idro-See stammt aus Ehrenfeld. Wir kommen nicht nur ins Gespräch sondern bekommen ein Buch angeboten, welches sie gerade zu Ende gelesen hat. Das Angebot wird höflich angenommen, die Erzählung der Nachbarin verspricht ein interessantes Leseerlebnis, zumindest wird etwas kölsches Lokalkolorit geboten, was ja nie schlecht ist, wenn die Domtürme außer Sichtweite sind.
Für Euch, die authentische Geschichte der Journalistin und ARD-Korrespondentin Iris Sayram, aufgewachsen im Kölner Halbwelt-Milieu der 80er und 90er Jahre (als Köln "Chicago am Rhein" genannt wurde). Sie erzählt einfühlsam von den Brüchen im Leben ihrer Eltern, von der Armut, Stromsperren, Kleinkriminalität. Vom Vater, der als einer der ersten "Gast"-Arbeiter nach Köln kam, mit Abitur und großen Träumen, denen er gebrochen als Zocker im Wettbüro nachträumt. Von der Mutter, die aus der spießigen Familie der Nachkriegszeit ausbricht, sich in das Leben wirft und das, was das Leben ihr hinwirft, zu bewahren sucht mit jeder Arbeit, die ihr möglich ist, jeder. Es ist geradezu schmerzhaft mitzuerleben, wie Gegenwart und Zukunft von Iris Sayram von ihrer Mutter auf der Straße verdient werden. Für Euch hat mich gefesselt, von der ersten Minute an (gestern Mittag) bis zum ! am Ende. Ein Buch mit Sogwirkung.
Jetzt stehe ich hier in dieser so wunderschönen Welt und kann nicht erkennen, dass hier alles nur voller Regenbogen und Einhörnern hängt. Hatte ich nicht schon in "meiner Welt" alles, was es zum Glücklichsein braucht? Eltern, die mich lieben, eine Mutter, die alles für mich tut? Die die Formulierung "für euch" durch und durch lebt? Die mir so viel beigebracht hat! Mir so viel Freiheit geschenkt hat! Mama sagt gern: "Jeder hät doch sing Päckchen zu tragen, und sie hat recht. Ich sehe hier nämlich keine glücklicheren, besseren Menschen. Ich verstehe mich auf einmal selbst nicht mehr. Warum habe ich mich so glatt geschliffen? Wozu?
Iris Sayram ist Journalistin und Rechtsanwältin. Sie ist seit Januar bundespolitische Korrespondentin im ARD Hauptstadtstudio. Im Haushalt ihrer Mutter gab es null Bücher, der Vater hatte drei, zwei Duden und ein Buch über Zeichenkunst. Dieses Buch ist sicherlich ein Plädoyer für Bildung, aber auch für Bildungsgerechtigkeit und für das Ermöglichen von Bildungschancen für jeden, jederzeit.